CSRD-Reporting und Biodiversität

Die Wesentlichkeitsanalyse ermöglicht einem Unternehmen, selbst zu bewerten, wie wichtig ein bestimmtes Thema – in diesem Fall Biodiversität und Ökosystemleistungen bzw. Natur – für seine finanzielle Lage und Geschäftsentwicklung ist und gleichzeitig, welche Auswirkungen das Unternehmen selbst auf die Natur hat. Diese Bewertung berücksichtigt also zwei Perspektiven: Erstens inwiefern die Erhaltung der Biodiversität und ihrer Ökosystemleistungen von wirtschaftlicher Relevanz für das Unternehmen ist, und zweitens wie die Aktivitäten des Unternehmens die Biodiversität beeinflussen. Dieses Konzept wird als "doppelte Wesentlichkeit" bezeichnet, da es sowohl die Abhängigkeiten des Unternehmens von Natur als auch die Auswirkungen des Unternehmens auf die Umwelt in Betracht zieht.
Im Unterschied zum E1 zu Klima sind Unternehmen bezüglich dem E4 zu Natur nur dann verpflichtet zu berichten, wenn das Thema als wesentlich definiert wurde. Die Selbsteinschätzung eines Unternehmens bezüglich seiner Auswirkungen auf Natur und deren finanzielle Relevanz birgt jedoch das Risiko von Fehleinschätzungen, wenn sie nicht durch wissenschaftliche und naturschutzfachliche Expertisen unterstützt wird.

Die Europäische Zentralbank hat festgestellt, dass fast 75 Prozent der Bankkredite in der EU an Unternehmen gehen, die in hohem Maße von der Natur abhängig sind. Zudem stellt eine neue Studie der EZB vom Oktober 2023 fest, dass etwa 70 Prozent aller Unternehmen in der EU zumindest von einer Ökosystemleistung stark abhängig sind. Wenn die Degradation der Natur weiterhin jedoch wie bisher fortschreitet, und durch ökologisch unverträgliche Geschäftspraktiken signifikant befördert wird, werden diese Unternehmen erhöhten Risiken ausgesetzt sein. Folglich würden die Kreditportfolios der Banken riskanter werden, es könnten auch Kreditausfälle drohen, und auch für Investmentportfolios würden die Risiken steigen.
Darüber hinaus hat das Network for Greening the Financial System (NGFS) Risiken, die durch den Verlust der Natur entstehen, als ein systemisches Risiko für die weltweiten Finanzmärkte identifiziert. Das bedeutet, dass der Schaden, der durch den Verlust natürlicher Ressourcen und Ökosystemleistungen entsteht, so groß ist oder sein kann, dass er eine Bedrohung für das weltweite Finanzsystem darstellt. Aufgrund dieser Erkenntnis fordert das NGFS Zentralbanken auf, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, da es in ihr Mandat fällt, systemische Risiken, also Risiken, die das gesamte Finanzsystem betreffen können, zu erfassen.

Im Dezember 2022 hat die Weltstaatengemeinschaft das Kunming-Montreal-Rahmenübereinkommen zur biologischen Vielfalt (GBF) als Pendant zum Pariser Klimaabkommen beschlossen. Dieses setzt zwar Ziele für Staaten, jedoch steht eine Übertragung dieser Ziele auf Unternehmensebene noch aus. Während jedoch für die Erreichung von Klimaneutralität klare Zielvorgaben existieren, bleibt die Festlegung und Messung spezifischer Ziele für den Biodiversität unklar und vage. Dennoch ist das Ziel des Kunming-Montreal-Abkommens in den Europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) als übergeordnetes Ziel verankert, was einen Schritt in Richtung definierter Naturschutzziele für Unternehmen darstellt. Unternehmen stehen jedoch beim Themenkomplex Natur vor großen Herausforderungen bezüglich Wissens- und Kompetenzaufbau. So fehlen z.B. allgemein akzeptierte Methoden und Daten, um die Abhängigkeit von Ökosystemleistungen sichtbar und letztendlich die finanziellen Chancen und Risiken, die sich hieraus ergeben, bewerten zu können. So erfolgt die Messung von Biodiversität weitestgehend über Proxys (Näherungswerte) und die Erfassung der Abhängigkeiten von und der Einflüsse auf Biodiversität durch wirtschaftliche Aktivitäten ist kaum etabliert und nicht vereinheitlicht. Das erschwert die Beurteilung, sowohl innerhalb von Unternehmen, aber auch durch Geld- und Kreditgeber.
Aus dieser Situation heraus – der hohen Anforderungen an Unternehmen durch Berichterstattung und dem Fehlen von Best Practices in einem Thema von höchster ökologischer Relevanz – erwächst die Bedeutung für einen zielgerichteten Stakeholder-Dialog, der relevante Perspektiven und Herausforderungen adressiert und versucht gemeinsam anzugehen. Dieser Aufgabe widmet sich der Dialogprozess der Umweltstiftung Michael Otto.