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7.6.2019

Zukunftsfähige Landwirtschaft: Mehr Raum für Natur

„Biodiversität, Boden, Klima sind Themen, die ineinander greifen und nicht voneinander getrennt betrachtet werden können. Das sind die Grundlagen für unsere gesunden Lebensmittel,“ sagt Landwirt Jochen Hartmann. Als einer von zehn Landwirten aus dem F.R.A.N.Z.-Projekt setzt er auf praxistaugliche und wirtschaftlich tragfähige Naturschutzmaßnahmen.


Etwa eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) hat diese alarmierende Zahl kürzlich in seinem ersten globalen Bericht zum Zustand der Artenvielfalt vorgelegt. Das Ausmaß des Artensterbens war demnach noch nie so groß wie heute – und die Aussterberate nimmt weiter zu. In ihrem Bericht zeichnen rund 150 führende Wissenschaftler aus 50 Staaten ein Bild der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Ein Haupttreiber ist unsere intensiv wirtschaftende Landwirtschaft, die zwar zu steigender Nahrungsmittelproduktion führt - das geht aber zu Lasten von Artenvielfalt, Boden, Wasser und Luft.


Wie muss die Landwirtschaft der Zukunft aussehen?

Warum wir einen anderen Blick auf die Landwirtschaft brauchen, darüber diskutierten Landwirte, Wissenschaftler sowie Entscheider aus Politik und Wirtschaft auf dem 6. Zukunfts Dialog Agrar & Ernährung in Berlin. Journalist und Moderator der Fernsehsendung Terra X Dirk Steffens machte deutlich, dass das ökologische System die Grundlage für eine zukunftsfähige Landwirtschaft ist. Deshalb dürfte laut Steffens niemand ein so großes Interesse am Artenschutz haben wie die Landwirtschaft. Auch Umweltministerin Svenja Schulze verdeutlichte, dass Landwirte für den Schutz der Biodiversität eine zentrale Rolle einnehmen. Sie forderte praktikable Lösungen zum Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen und machte klar, dass die Landwirtschaft ohne Insekten und Bestäuber vor grundsätzliche Probleme gestellt wird. Laut Schulze muss der Pestizid- und Düngeeinsatz umfassend reduziert werden. Dänemark ist hier schon weiter. Unser EU-Nachbarland hat eine Reduktion der Nitratbelastung um 20 Prozent geschafft. Mit einer Mischung aus Ordnungsrecht und den richtigen Anreizen für Landwirte möchte sie dafür sorgen, dass unsere Äcker wieder einladender werden für Insekten und Vögel. Mehr Klatschmohn, weniger Monokultur ist hierbei die Devise. Ein solcher Anreiz ist beispielsweise die Verbesserung der Finanzierung von Agrarumweltleistungen, die auch im Aktionsprogramm Insektenschutz aufgenommen wurde. Mit dem Programm möchte die Bundesregierung die Lebensbedingungen für Insekten und die biologische Vielfalt in Deutschland verbessern, um dem Insektensterben entgegenzuwirken. Das Aktionsprogramm liegt den anderen Ministerien bereits zur Abstimmung vor. Eine politische Steuerung, die den Landwirten mehr Flexibilität bei der Umsetzung der Naturschutzmaßnahmen gibt, und die nicht gleich mit dem Zentimetermaß sowie dem Aussaatkalendar um die Ecke kommt, wäre ein weiterer Anreiz für eine zukunftsfähige Landwirtschaft.


Naturschutz und Landwirtschaft miteinander praktizieren

Wie kann eine Landwirtschaft gestaltet sein, die mit der Natur im Einklang steht? Der Betrieb von Jochen Hartmann zeigt, dass Landwirtschaft und Naturschutz kein Widerspruch sein müssen. Gemeinsam mit Wissenschaftlern und einem Betriebsberater setzt er im Rahmen des Projektes F.R.A.N.Z. verschiedene Naturschutzmaßnahmen auf seinen Feldern um. „Biodiversität ist extrem komplex. Das wird gerade bei uns ein eigener Betriebszweig. Deshalb arbeiten wir gemeinsam mit der Forschung an der Umsetzung der Naturschutzmaßnahmen, wie z. B. beim Extensivgetreide mit blühender Untersaat. Bei dieser Maßnahme wird nicht gedüngt und kein Pflanzenschutzmittel verwendet. Das macht man schon aus eigenem Interesse. Als ich bei meinen Rüben einen Marienkäfer entdeckt habe, war mir klar, dass ich auf das Spritzen verzichten muss“, erläuterte Jochen Hartmann den Teilnehmern des 6. Zukunfts Dialog Agrar & Ernährung. Sommergetreide mit blühender Untersaat, Feldvogelinsel und mehrjährige Blühstreifen sind nur einige seiner Maßnahmen, die er auf seinem rund 200 ha großen Ackerbaubetrieb in der nördlichen Lüneburger Heide anwendet. Im Rahmen des F.R.A.N.Z.-Projektes fördert Hartmann auf knapp zehn Prozent seiner Fläche die Lebensgrundlagen für Insekten und Feldvögel. Doch was kosten ihn diese Naturschutzleistungen? Laut Hartmann sind beispielsweise die Kosten pro Einheit Kartoffeln gering: „Wir haben 30 Hektar Kartoffeln. Wenn alle Kartoffeln bei Edeka verkauft werden, kostet F.R.A.N.Z.-Biodiversität nur 3,9 Cent pro Kilogramm Kartoffeln.“ Auch der sparsamere Umgang mit Pflanzenschutzmitteln senkt die Kosten. Denn Pflanzenschutzmittel vernichten bekanntlich nicht nur Schädlinge, sondern auch Nützlinge. Damit sein Beispiel Schule macht verdeutlicht er: „Wir müssen als Landwirte die Nützlinge fördern. Wir müssen Biodiversität in die Fläche bringen und gezielt abwägen, was wir überhaupt noch an Pflanzenschutzmitteln brauchen.“ Voraussetzungen für mehr Artenvielfalt in der Agrarlandschaft sind eine enge Zusammenarbeit zwischen naturschutzfachlicher Forschung und Landwirtschaft, eine finanzielle Förderung für die angelegten Naturschutzmaßnahmen sowie mehr Flexibilität bei der Umsetzung der Maßnahmen. Nur so können Planungssicherheit gewährleistet und die Wirtschaftlichkeit der Betriebe nicht beeinträchtigt werden.


Hartmann’s Beispiel zeigt, dass Landwirtschaft und Naturschutz nur gemeinsam im Dialog vorangebracht werden können. Deshalb ist eine enge Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure aus Landwirtschaft, Wissenschaft und Politik notwendig, um die erfolgreich erprobten Naturschutzmaßnahmen zukünftig auch in entsprechenden Förderprogrammen zu verankern. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch viele andere Landwirte diese Maßnahmen auf ihren Betrieben umsetzen.


Mehr Wertschätzung für gesunde Lebensmittel

Es braucht also neue Wege für mehr Biodiversität in der Agrarlandschaft. Ein fruchtbarer Dialog auf Augenhöhe zwischen den Akteuren ist dabei die Grundlage. Mindestens genauso wichtig ist die Frage der Wertschätzung. Der Biologe und Umweltforscher Professor Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung machte darauf aufmerksam, dass wir unser Wertesystem überdenken müssen. Im IPBES-Bericht, an dem Settele als Autor beteiligt ist, wurde festgehalten, dass die Natur und ihre Beiträge für die Menschen, sogenannte Ökosystemleistungen, die Voraussetzungen für menschliches Leben und Lebensqualität sind. Dirk Steffens machte es noch einmal deutlich: „Wir müssen aufhören Lebensmittel als Ramschwaren zu verstehen. Ausgerechnet bei Nahrungsmitteln sind wir so irre geizig.“

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