Wer für Umweltschutz kämpft, muss sich auf zunehmend härtere Verhandlungen einstellen. Wie man die erfolgreich führt, verrät Jochen Flasbarth, unter anderem deutscher Unterhändler bei den Klimaverhandlungen 2015 in Paris.
Herr Flasbarth, eine Frage vorweg: Obwohl kein Tag vergeht ohne Meldungen, dass der CO2-Ausstoß weiterhin steigt, die Artenvielfalt sinkt oder die durch den Klimawandel beeinflussten Wetterkatastrophen zunehmen, ändern weder Produzenten noch Konsumenten grundsätzlich ihr Verhalten. Teilen Sie die These, dass Verhandlungen in Zukunft härter werden? Je stärker die Probleme zunehmen, desto stärker prallen verschiedene Positionen aufeinander, desto mehr hat jede Seite zu verlieren …
JOCHEN FLASBARTH Ich schätze es so ein, dass die sogenannten »low hanging fruits«, also das, was man durch einfache Optimierung erreichen kann, ziemlich aufgebraucht sind. Das bedeutet, dass mehr strukturelle Veränderungen kommen müssen, in der Energiewirtschaft, im Verkehrssektor, auch bei Industrieprozessen, um all das umwelt- und klimaverträglich auszurichten. Solche grundlegenden Veränderungen sind stark mit gesellschaftlichem Wandel verbunden, was natürlich bedeutet, dass die Interessengruppen stärker aufeinanderprallen werden.
Welche Voraussetzungen müssen dann grundsätzlich erfüllt sein, damit Verhandlungen möglich sind?
FLASBARTH Es klingt banal, aber man kann mit niemandem verhandeln, der das nicht will – Verhandeln ist ein Prozess, Verhandlungsbereitschaft die allerwichtigste Voraussetzung. Entscheidend ist weiterhin, dass es eine Faktenbasis gibt, über die kein Streit mehr besteht.
Wäre unter diesen Umständen eine Einigung stets möglich?
FLASBARTH Na, das zeigt ja schon die Geschichte, dass das nicht immer funktioniert. Weil man Themen unterschiedlich einschätzt oder keine Lösungen findet. Selbst Verhandlungslösungen sind ja kein Erfolgsgarant, dass die Umsetzung gut funktioniert. Allerdings sind Lösungen, die man in der Gesellschaft durch Verhandlungen herbeiführt, in der Regel stabiler als obrigkeitliche Anordnungen. Aber Letzteres kann natürlich notwendig sein, wenn sich die Akteure nicht einigen können.
Gibt es so etwas wie eine Essenz einer Verhandlung?
FLASBARTH Verhandlungen können ganz unterschiedlich geführt werden, zwischen Partnern oder zwischen Gegnern. Und dann mit oder ohne Moderator. Ein guter Moderator tut eigentlich jeder Verhandlung gut, gerade, wenn sie sehr komplex ist. Er kann strukturieren, die Beteiligten aus starren Positionen locken, alternative Lösungsstrategien erarbeiten.
Gab es in Ihren Verhandlungen stets einen Moderator?
FLASBARTH Nein. International ist das viel stärker verbreitet als in Deutschland.
Gibt es eine Präferenz bei Ihnen, lieber mit oder lieber ohne Moderator?
FLASBARTH Keine generelle. Wenn es um Verhandlungen zwischen Bund und Ländern darum geht, wie man zu einer umweltverträglichen Landwirtschaft kommt, braucht es vermutlich keinen. Wenn ich dagegen an den Kohleausstieg denke, da sollen die betroffenen Regionen, Industrie, Gewerkschaften und Umweltverbände miteinander nach Lösungen suchen, so etwas kann ich mir ohne einen neutralen Moderator überhaupt nicht vorstellen.
Wie wichtig ist dabei Respekt, wie wichtig Distanz?
FLASBARTH Das gehört zusammen, Respektlosigkeit ist auch Distanzlosigkeit. Wenn es an Respekt mangelt, kann man Verhandlungen nur sehr schwer führen.
Und wie wichtig ist Moral? Das ist vermutlich etwas, was Umweltschützer gern für sich reklamieren …
FLASBARTH Wenn über die eingangs erwähnte Faktenbasis, zu der in der Regel auch ein Fundament an Werten gehört, Einigkeit herrscht, ist Moral Teil des Pakets. Wenn man allerdings moralisch argumentiert, führt das häufig zu mehr Problemen, als wenn man nüchtern an die Sache herangeht.
Zählt denn die Kraft des Argumentes allein? Oder auch das Charisma dessen, der es äußert?
FLASBARTH Natürlich geht es um Sachargumente, anders kann es ja gar nicht sein. Nur spielt natürlich mit hinein, welche Gesprächskultur die Beteiligten pflegen. Manchmal sitzt mein größter Gegner auf meinem Stuhl. Dann etwa, wenn man Argumenten nur zur Hälfte zuhört und schon das Gegenargument aufbaut anstatt nachzufragen.
Gibt es Stereotypen bei Verhandlungen?
FLASBARTH Mit Sicherheit, nur habe ich das für mich nie so kategorisiert. Dass manche extrem nüchtern antreten, andere extrem robust und ohne Zugeständnisse, dritte eher der umgarnende Typus sind, das gibt es alles, aber selten in Reinform. Das hängt vielfach vom Stand der Verhandlungen ab, zudem werden Rollen auch schon mal gewechselt.
Zu welchem Typen zählen Sie sich?
FLASBARTH (lacht) In aller Regel habe ich wohl auf das Aufeinander-Zugehen gesetzt. Mit Empathie konnte ich mehr durchsetzen als mit Kühle.
Soll man davon ausgehen, dass einem das Gegenüber in Verhandlungen die Wahrheit sagt? Oder lieber davon, dass da ein ausgekochter Taktiker sitzt?
FLASBARTH Die Wahrheit zu sagen kann eine ganz gewiefte Taktik sein. Generell sollte man in Verhandlungen mit allen möglichen Typen kalkulieren. Mit rein Taktierenden, was ja nicht prinzipiell böse ist, ebenso wie mit solchen, die die Wahrheit nicht vollständig hochleben lassen. Aber auch jenen, die an einer guten Lösung interessiert sind.
Gibt es Tricks, die besonders zielführend sind?
FLASBARTH Das knüpft ja direkt an Verhandlungstypen und Verhandlungsstile an. Da habe ich einiges erlebt: betonte Eisigkeit, das Zerreißen von Positionspapieren, langwieriges Schweigen, zielgerichtete Konfusion. All das gibt es natürlich. Darauf kann man aber nur in der Situation angemessen reagieren. Wenn man für die Natur verhandelt, wird es oft wolkig. Sie besitzt keine konkrete Lobby, Zahlen und Statistiken sind häufig Modelle und Prognosen.
Macht das derartige Verhandlungen schwieriger?
FLASBARTH Das habe ich nie so empfunden. Klimaschutz, Naturschutz und Umweltschutz folgen ja keiner romantischen Logik. Es gibt genug Fakten, welche diverse Fehlentwicklungen überaus deutlich belegen. Nein, das war nie ein argumentatives Handicap. Eher umgekehrt: Viele der sogenannten Nutzer haben Schwierigkeiten, weil sie ihre individuellen Interessen gesellschaftlichen Ansprüchen gegenüber stellen müssen.
Aber geht es nicht auch um grundsätzliche Fragen wie Wachstum oder Verzicht – und damit um Glaubenskonflikte?
FLASBARTH Das ist noch einmal eine besondere Debatte. Ich bin davon überzeugt, dass wir so viel wie möglich durch Effizienz, durch Technologie, ganz generell durch Intelligenz, auch gesellschaftliche Innovationen erreichen müssen. Und dann mag es noch eine Differenz geben, die durch das Anstreben anderer Lebensstile ausgeglichen werden muss. Das ist aber eine Debatte, die der Staat unglaublich schlecht führen kann, weil es schnell als übergriffig verstanden wird. Deshalb bedarf es da gesellschaftlicher Akteure und eines Diskurses.
Wenn wir noch bei Verhandlungen bleiben: Welche sind typische Fehler, die immer wieder gemacht werden?
FLASBARTH Eine schlechte Vorbereitung. Und dieser Fehler kommt häufiger vor, als man denkt.
Was zählen Sie dazu?
FLASBARTH Na ja, an erster Stelle sollte man fakten und argumentationssicher sein, sonst ist man ganz schnell in der Defensive. Außerdem ist es wichtig, das eigene Wunschergebnis ebenso zu kennen wie ein realistisches. Und schließlich sollte man vor Augen haben, ab welchem Punkt man aus den Verhandlungen aussteigt – aber ohne mit der Tür zu knallen, sondern sie offenstehen zu lassen. Offen für neue Ideen sollte man auch sein. Und man sollte seine eigenen Stärken und Schwächen kennen. Und sich natürlich vergleichbare Gedanken auch über die andere Partei machen.
Ist Ihnen dieser Fehler auch schon mal unterlaufen?
FLASBARTH Das kam schon mal vor, ja. Zum Glück bin ich bei Verhandlungen eher ein penibler Typ (lacht).
Sind Drohungen sinnvoll?
FLASBARTH Als Einstieg überhaupt nicht, das hat ja nichts Gewinnendes, das spaltet nur. Aber es kann durchaus in Verhandlungen zu dem Punkt kommen, wo man mit deren Abbruch droht. Oder, wenn man denn über die entsprechenden Hebel – also Drohpunkte - verfügt, mit deren Einsatz, was eventuell noch unangenehmer ist. Als es mit der Vollendung des Atomausstiegs nicht voranging, wurde schon mal die regulative Kompetenz des Staates ins Spiel gebracht, wenn sich Verhandlungen überhaupt nicht bewegen.
Und wie geht man damit um, wenn Eskalation als Strategie der Gegenseite eingesetzt wird?
FLASBARTH Das hängt davon ab, ob es einen Moderator gibt oder nicht. Der Moderator wird so etwas wittern und frühzeitig durch Gegenstrategien beruhigen, durch Fragen, durch Pausen, gegebenenfalls auch durch konkrete Benennung dessen, was passiert. Gibt es keinen Moderator, ist es wie beim Kartenspiel: Ist das eigene Blatt gut gesteckt oder nicht? Je nachdem muss man mehr oder weniger mitgehen. Im leider seltenen Idealfall kann man ganz entspannt reagieren.
Wie ist es mit dem Gefühl, im Recht zu sein? Ist das eher von Vorteil oder von Nachteil?
FLASBARTH Also, ich kann mir zumindest für mich nicht vorstellen, für etwas anzutreten, das ich nicht für die richtige Seite halte. Aber natürlich wird es auch solche Menschen geben. Ich halte es aber für wichtig, dass man von dem überzeugt ist, was man vertritt. Man darf nur nicht in Rechthaberei verfallen.
Haben Sie eigentlich das Ende der Verhandlungen schon vorher im Kopf?
FLASBARTH Nicht immer. Wie gesagt, es ist gut, ein Ziel vor Augen zu haben und verschiedene Verläufe zu durchdenken. Das ist aber kein Generalrezept. Es gibt Verhandlungen, die folgen gänzlich anderen Logiken, auf die kann man sich auch nicht spieltheoretisch vorbereiten. Da muss man so flexibel sein, jede Situation als neuen Startpunkt zu sehen, sich zu überlegen, wo lande ich hier, wo lande ich dort.
Wenn man zu einhundert Prozent sein Ziel erreicht hat, fühlt man sich danach automatisch über den Tisch gezogen?
FLASBARTH Warum sollte man? Dann hat man doch gut verhandelt. Oder die falschen Ziele gehabt. Die Stiftung versteht sich ja als eine Art Moderatorin, als Mittlerin zwischen den Interessen, wenn auch auf Seite der Umwelt.
Werden solche Instanzen zukünftig an Bedeutung gewinnen?
FLASBARTH Sie haben auf jeden Fall eine große Relevanz in Fragen, die eher komplexer als leichter werden. Was die Stiftung ausmacht, ist die Tatsache, dass sie, obwohl sie von den Grundwerten her klar pro Natur verortet ist, von allen als gute Moderatorin, als fairer Broker respektiert ist. Das zu erreichen ist überhaupt nicht leicht – und wird in Zukunft sicher häufiger gebraucht werden.
Dr. Michael Otto sagt gern: »Wenn sich Leute an einen Tisch setzen, kommt am Ende etwas Vernünftiges heraus.« Teilen Sie das?
FLASBARTH Das ist Otto, wie man ihn kennt. Sehr positiv, sehr optimistisch. Das kann, denke ich, nur jemand sagen, der mit so viel guter Energie an solche Prozesse herangeht. Das aber ist eine Grundvoraussetzung: Wenn man nicht daran glaubt, dass es gelingen kann, Interessengegensätze zu überwinden, gelingt es auch nicht. Da hat Dr. Otto immer eine gute Hand gehabt.
Haben Sie ein Vorbild für Verhandlungen?
FLASBARTH Nicht in dem Sinne – der hat es so gemacht, so machst du es ab jetzt auch. Eher übernimmt man etwas von dem einen, etwas anderes von dem anderen – was man manchmal auch erst später bemerkt. Wenn ich einen Namen nennen soll, ist es Professor Reinhard Sander, in den 1990er-Jahren Vorsitzender des BUND Hessen. Von ihm habe ich gelernt, Gespräche liberal laufen zu lassen, um sie dann in Hinblick auf ein Ziel wieder zusammenzubinden.
Gibt es ein Buch, das man gelesen haben sollte, bevor man sich in Verhandlungen stürzt?
FLASBARTH Da kann ich überhaupt keinen Tipp geben. Ich habe in meinem ganzen Leben noch kein Buch dazu gelesen.
JOCHEN FLASBARTH wurde 1962 in Duisburg geboren. Studium der Volkswirtschaft, Politikwissenschaft und Philosophie. Er begann als Lektoratsleiter beim Bonner Economica-Verlag, wurde 1992 Präsident des NABU, 2003 Abteilungsleiter »Naturschutz und nachhaltige Naturnutzung« im Bundesumweltministerium, 2009 Präsident des Umweltbundesamtes und 2013 Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Flasbarth ist verheiratet und Vater zweier Töchter.